Christian Forbelsky erzählt - die Geschichte vom "Jackerl"

von Christian Sch… 22/08/2019
Szenethema
Christian Forbelsky erzählt - die Geschichte vom "Jackerl"

Die Geschichte vom "Jackerl"

von Christian Forbelsky

Gesichtet wurde der Austro Fiat A.F.L. von mir das Erste Mal im Mai 1978, ich war gerade 19 Jahre alt und Student der Medizin.

Schön war, er, imposant stand er da, edel und groß, und das obwohl er ein „kleiner Schnell-Lastwagen“ war.
Doch irgendwas stimmte nicht mit ihm. Er wirkte auch traurig. So sah ich ihn mir genauer an.
Ich konnte nicht erkennen was es war und so suchte ich seinen Besitzer, den alten Gemüsehändler.

Dieser erzählte mir, dass die Hinterachse seines LKW’s gebrochen war und das es schier unmöglich wäre, Ersatzteile für ein Fahrzeug Baujahr 1936 zu finden. Doch hergeben würde er seinen „Jackerl“, so nannte er den LKW liebevoll, nie und nimmer.

Hätten sie doch gemeinsam die schweren Kriegsjahre durchstanden, durch eine Sondergenehmigung, da Jackerl Lebensmittel in Wien auslieferte, wurde er nicht zum Kriegsdienst an die Front geschickt wohin die meisten LKW’s gebracht wurden, und als das Benzin knapp wurde, hatte er ganz alleine seinen Jackerl auf Gasbetrieb umgerüstet so dass dieser weiter brav fahren konnte.

Dankbar war er, sein Jackerl, nie hätte er ihn und die Kunden, die täglich so dringend auf das frische Gemüse warteten im Stich gelassen und so, so meinte der Mann, hätte Jackerl das Gnadenbrot bei ihm verdient. Er dürfe bleiben und er uns sein Jackerl wären unzertrennbar.

Dies war die deutlichste aber auch rührendste Abfuhr, die ich jemals erhalten hatte.

Doch ich hatte mich verliebt. Dieses herrliche Auto, ein wahrer Held und so einzigartig und außergewöhnlich, ich musste ihn haben.

Also belagerte ich den alten Gemüsehändler. Monatelang besuchte ich ihn und seinen Jackerl, brachte Schokolade und Wein, plauderte mit ihm und umstrich bewundernd den kleinen LKW. Immer wieder fragte ich nach, ob Jackerl nicht doch zu kaufen wäre, doch immer wieder wurde mir ein knappes „NIEMALS“ entgegengeschleudert.

Ich war verzagt. Niemals – das war eindeutig!! Was wäre einem „Niemals“ noch entgegen zu setzen?

Doch offensichtlich hatte ich das Herz des Gemüsehändlers erweicht. Eines Tages, es war ein lauer Herbsttag läutete das Telefon und der Gemüsehändler fragte „Christian, wollen Sie Jackerl kaufen? Ich schaffe es einfach nicht, seine Hinterachse zu reparieren. Keine Werkstatt kann mir helfen. Bei Ihnen hätte er ein gutes Platzer gefunden und vielleicht schaffen sie es, ihn zu retten.

Was für eine Frage!!! Ich konnte mein Glück nicht fassen! Und so sprang ich gleich in mein Auto und fuhr zu „meinem“‘ Jackerl um ihn zu kaufen.

Der Kauf war schnell getätigt, und ich rief, damals völlig naiv, den ÖAMTC, damit dieser mir Jackerl zu mir nach Hause schleppen würde.
Der Pannenfahrer war entsetzt. Wie solle er einen LKW mit kaputter Hinterachse schleppen? Das wäre unmöglich, nicht vorgesehen und gegen jede Vorschrift die es gäbe. Ein Pannenfahrzeug, auf das er Jackerl stellen könne und ihn so zu mir fahren könne, gebe es in der Größe nicht.
Er fuhr unverrichteter Dinge und mit einem sehr deutlich erkennbaren Kopfschütteln davon und ließ mich und den neu erworbenen Schatz alleine in Meidling zurück.

Wie sollte nun das Auto zu mir in den 14. Bezirk kommen? Noch dazu auf einen Berg…

Es blieb mir nichts anderes über, als meinem Vater die ganze Geschichte zu beichten. Denn bis jetzt hatte ich die Aktion „Jackerl“ streng geheim gehalten.

Mein Vater war geschockt „Bub was hast du nur angestellt“ rief er. „komm, wir reden mit dem Gemüsehändler, vielleicht können wir den Kauf noch rückgängig machen“.

Doch das kam für mich nicht in Frage.

Und so bastelte mein Vater, der selber ein großes Herz für Oldtimer (und seine 4 Söhne) hatte, eine Schleppstange, mit der wir den LKW in einer mehr als abenteuerlichen Aktion inklusive rauchender Hinterreifen und vielen Stopps bis zum Fuße des Wolfersberg schleppten.

Die Erzwingung des Berges erfolgte in einer zweiten, schwierigen Etappe.

Doch mein Abenteuer war noch lange nicht zu Ende. Denn auch ich scheiterte daran, eine Werkstatt zu finden, die das Problem „Hinterachse“ beheben konnte.

Nun war auch ich verzweifelt.

Doch manchmal geht das Glück seltsame Wege. Eines Tages, als ich wieder in der Einfahrt vor dem Auto stand und überlegte, wen ich noch wegen der Hinterachse fragen könnte, blieb ein altes Auto neben mir stehen. Der Fahrer, ein junger Bursche, sprang heraus und sagte „Servus, ich bin der Günter, was hast du denn da für ein Fahrzeug?“

Es stellte sich heraus, dass Günter, mit dem mich seit diesem Tag eine tiefe Freundschaft verbindet, gerade eine Lehre zum LKW-Mechaniker machte.

Durch Günters Hilfe und sein fachkundiges Wissen schafften wir es tatsächlich, die Hinterachse zu reparieren und Jackerl wieder Leben ein zu hauchen.

Bei der Anmeldung des Autos hatte Fortuna noch einmal ein großes Geschenk für mich und Jackerl in ihrem Füllhorn. Eine wundervolle, damals noch auf schwarzen Kennzeichentafeln geprägte Autonummer – W- 216.216 – die der LKW bis heute stolz trägt.

Im Laufe der Jahre stellte sich nach langen Recherchen heraus, daß es sich bei meinem Austro Fiat um das weltweit einzig „überlebende“ Exemplar dieses Modells handelt.

Der AFL ist immer wieder ein großer Publikumsmagnet bei Ausstellungen und Messen und stellt auch ab und an in österreichischen Filmen, wie z.B. in „Kleine große Stimme“ oder in „Auch das war Wien“ sein schauspielerisches Talent unter Beweis.

Der LKW Jackerl, der jedes Jahr von mir und Günter liebevoll repariert jedoch niemals restauriert wird ; er befindet sich noch komplett im Originalzustand; ist für mich ein Beispiel, wie die Liebe zu Fahrzeugen und Maschinen Menschen verbinden kann und die Erhaltung österreichischer Geschichte und Kulturgüter Interesse bei Alt und Jung erweckt.

(c) Christian Forbelsky