Der Wahnsinn steckt im GT-Detail!

von Christian Sch… 14/03/2022
Szenethema
Der Wahnsinn steckt im GT-Detail!

Quelle OCC: www.occ.eu/at

Keiner will ihn? Also einfach mal machen
Immer diese Facebook Gruppen! Anno 2018, ein Bild von einem roten Passat auf dem Hof einer Autoverwertung, platte Reifen mit viel Moos. Ob jemand Teile bräuchte? Olaf Steenbock aus Hamburg liebt und lebt Passat und fährt direkt hin. Er läuft einmal um den Wagen herum, schaut rein und kauft ihn zwei Minuten später. Es ist das Aktionsmodell „GT“ mit der 1,8 Liter 112 PS Vierzylindermaschine, einer von nur 2000 gebauten Exemplaren in sieben Monaten! Innen ist der Werks-Biedermann in einem erstaunlich guten Zustand und hat echte 137.000 Kilometer auf dem schlichten Tacho. Für die meisten eine langweilige Mittelklasse-Kiste, für den Perfektionisten mit Schrauberkompetenz eine schlafende Schönheit. Das sollte der Anfang einer ungewöhnlichen Beziehung sein.

Nach einigen Recherchen stellt sich heraus, dass der Wagen aus erster Hand kommt und seit 2001 abgemeldet ist. Lange Jahre stand er vergessen auf einem offenen Parkdeck in Hamburg Steilshoop und setzte dort Grünpflanzen an. Er war sogar auf Google Maps zu sehen. Olaf ist im Netz recht umtriebig und beichtet seine Auto-Erlebnisse, was dem Wagen umgehend den offiziellen Spitznamen „Moos GT“ einbrachte. Ein neuer Tank, eine neue Benzinpumpe, und der seltene 1,8 Liter Vierzylinder erwacht zu neuem Leben. Das Interieur entpuppt sich nach grober Reinigung quasi als neuwertig, und so beschließt Steenbock, das Auto komplett und perfekt wieder auf die Straße zu bringen!

Ein Biedermann für die Mittelklasse
Ein mutiges Unterfangen. Ersatzteile für die Mechanik gibt es noch im Volkswagen-Baukasten und bei seinen Kontakten, Bleche hat Olaf noch von vergangenen Projekten liegen oder kann sie selbst anfertigen. Wie bei allen Autos dieses Alters gibt es fast nichts mehr vom Interieur, aber das ist ja gesund. Die Passat Baureihe B2 galt zwischen 1980 und 1988 als robustes, sehr variables Arbeitstier für Familien. Als fünftüriger „Variant“ verkaufte er sich am häufigsten, gefolgt vom Schrägheck. Die Stufenheck Limousine hieß zunächst „Santana“, ab der Modellpflege 1985 „Passat Stufenheck“.

Die Motorisierungen der ersten, intern 32b genannten B2 Generation waren übersichtlich und bedienten alle damaligen Wünsche. Die 1,3 und 1,6 Liter Vierzylinder wurden ab 1983 durch den 1,8 Liter Vierzylinder ergänzt. Den Fünfzylinder gab es erst mit 1,9 Litern Hubraum, später wurden es erst 2.0, 2,1 und dann 2,2 Liter. Je nach Motor, Geldbeutel, Präferenzen oder Baujahr bereiteten ein Vergaser, eine K-Jetronic oder eine KE-Jetronic das Gemisch der Benziner auf. Der 1,6 Liter Saugdiesel bekam später einen Abgasturbolader spendiert. Das gefiel. Allein in Deutschland wurden über 3,3 Millionen Passat B2 gebaut.

Einen Passat restaurieren – verrückt?
In den folgenden zwei Jahren sehen wir Olaf wenig. Jede freie Minute verbringt er mit dem Moos GT. Er ersetzt das Komplette Heckblech und den unteren Frontscheibenrahmen. Kompromisslos saniert und schweißt er den mit Bitumen vollgeschmierten Unterboden. Was für ein Zeug! Den Geruch von Bitumenlöser hat er heute noch in der Nase. Die Endspitzen, Schweller und Radläufe weichen frischem Blech. Man hätte das wohl flicken können… aber Olaf kennt nur JA oder NEIN. Graustufen gibt es bei ihm nicht, oder in diesem Fall Marsrot-Stufen L A3A. Eigentlich will er den originalen Lack möglichst behalten, aber trotz Farbproben und vielen Mischungen bleiben am Ende 50 shades of Marsrot. Das will ja keiner. 

Während der Lackierer 2020 gute Arbeit leistet, spannt Olaf den Wagenhimmel neu und arbeitet die schwarz-silberne Inneneinrichtung auf. Anschließend folgt eine komplette Hohlraumkonservierung und das Verlegen von Dämmmatten, Teppichen und Dichtungen. Der finale Zusammenbau zieht sich bis 2021, der Perfektionist lässt keine einzige Schraube unangefasst. Und das Ergebnis kann sich wahrhaft sehen lassen. Bei der Oldtimertankstelle Hamburg Brandshof bekommt Olaf für seinen auferstandenen GT die Oldtimerabnahme mit Bravour und Handschlag. Gut gemacht, Herr Steenbock.

Gegen den „Es-muss-sich-lohnen“ Strom
Offen bleiben zwei Fragen. Warum stand das im Februar 1984 ausgelieferte Fahrzeug noch bis Januar 1985 im Verkaufsraum? Wollte den denn niemand? Und warum tut sich ein normaler Mensch drei Jahre Restauration für ein ehemaliges „Butter-und-Brot“ Fahrzeug an, wenn auch ein seltenes und mit seinen 112 PS recht sportliches? Der Zeitaufwand und die Kosten lassen sich vor keinem noch so gutmütigen Oldtimerfan mit dem heutigen Wert des Autos übereinander bringen.

Aber ist es nicht genau das, was unser Hobby so spannend und so vielseitig macht? Dass sich Enthusiasten wie Olaf auch für Fahrzeuge lang machen, die normalerweise verschrottet würden? Ohne Rücksicht auf den Zeitaufwand und die tatsächlichen Kosten? Der Hamburger fährt seit dem glücklich mit seinem Passat GT durch Europa. Und er stiehlt jedem alten Ferrari oder Mercedes SL direkt die Show. Denn der Passat ist ein aus dem Straßenbild bekanntes Auto. Es weckt Erinnerungen und Emotionen. Wer hat denn schon schöne Kindheitserinnerungen an einen totrestaurierten Testarossa? Sehen Sie. Eine von zwei Fragen ist damit schon beantwortet. Die andere bleibt wohl für immer offen.

Olafs gesammelte Passat-Geschichten sind hinterlegt bei https://ost-blog.passat32.de/
Olafs Werkstatt finden Sie bei https://altblechfieber.de/

Jens Tanz

Quick Facts Volkswagen Passat B2
Bauzeitraum:                     1980-1988
Karosserien:                      Limousine, Schrägheck, Kombi
Benzinmotoren:               1,3 Liter – 2,2 Liter
Dieselmotoren:                1,6 Liter
Stückzahl:                           ca. 3.340.000
Neupreis 1984:                 22.670 DM