Patina bei Oldtimern – mehr als nur Geschmackssache

von Christian Sch… 12/04/2023
Szenethema
Patina bei Oldtimern – mehr als nur Geschmackssache

Der Jaguar E-Type strahlt in "Regency Red", die dicken schwarzen Ledersitze und das reich bestückte Armaturenbrett zeigen leichte Gebrauchsspuren. Kein Rost, knapp 50 Jahre alt ist das Cabrio, 29.664 Meilen (47.739 km) hat der V 12-Motor bisher absolviert. Manuelles Getriebe, Hardtop ab Werk, AM/FM-Radio.

Erstbesitzer der Raubkatze war ein Amerikaner, Mr. Ervey aus Denville, New Jersey. 10.150 Dollar bezahlte er am 19. Juli 1974 beim Autohändler. Es ist alles dokumentiert: Die Historie des Fahrzeugs, das bei Anbieter Getyourclassic derzeit angeboten, kann lückenlos nachgewiesen werden. Deswegen auch der stolze Preis von 94.900 Euro, den der jetzige Besitzer dafür haben will. Marktwert laut Zustand 2: 82.000 Euro. Der kräftige Aufschlag ist der Patina geschuldet, die der Wagen besitzt.
„Schön oder nicht schön, das ist hier die Frage…“ Frei nach Shakespeares Hamlet spaltet der Anblick von Patina bei Klassikern immer noch die Oldtimer-Szene. Die eine Seite liebt das Fahrzeug, wenn es perfekt restauriert ist und wie fabrikneu auf Messen und Events vorgeführt wird. Die andere Seite interpretiert Gebrauchsspuren als wichtiges Merkmal des Fahrzeugs als Zeitzeuge seiner Epoche. Motto: Ist der Originalzustand einmal verschwunden, bleibt er es auch. Da hilft auch eine perfekte Restaurierung nichts.

Wie wichtig ist Patina momentan auf dem Markt, wohin geht der Trend? Welche Sichtweise setzt sich durch? Das sagen Oldtimer-Experten und Szene-Kenner.

Oldtimer und Youngtimer mit Patina sind eindeutig auf dem Vormarsch

KR Franz R. Steinbacher, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Kraftfahrwesen: „Die Old- und Youngtimer-Käufer der letzten Jahre interessieren sich immer stärker für Fahrzeuge mit Patina, demgmäß ist auch der Markt in einer Phase der Wandlung. Das Ziel für viele Old- und Youngtimer-Fans, aber auch Neueinsteiger in die Oldie-Szene, ist heute nicht mehr das perfekt restaurierte Fahrzeug, sondern Klassiker mit einer entsprechenden Patina. Auch deutlich erkennbare Reparatur-Spuren sind da kein wirkliches Problem, vorausgesetzt sie wurden fachgerecht durchgeführt. Das Wesentliche ist eine einwandfreie, funktionsfähige und jederzeit einsetzbare Technik. Das Maß aller Dinge bei Youngtimern, sind im Moment unfallfreie Erstbesitz-Fahrzeuge, mit einer relativ niedrigen Kilometerleistung, denen man die Jahre anhand ihrer Gebrauchsspuren auch durchaus ansehen darf.

Patina oder schon Gammel?

Frank Wilke ist Chef des deutschen Bewertungsspezialisten classic-analytics. Für ihn ist das Thema Patina natürlich nicht neu: "Bereits vor knapp über 20 Jahren häuften sich die Fälle, in denen für überragend gut erhaltene, unrestaurierte Fahrzeuge der eigentlich für den Zustand 1 vorgesehene Preis gezahlt wurde. In den Folgejahren tauchten diese Autos dann vermehrt am Markt, speziell auf Auktionen auf und erzielten dort Preise, mit denen kaum jemand gerechnet hätte. Begriffe wie "Survivor" oder "Time capsule" wurden geboren. Das interessante am Originalzustand ist, dass es ihn nur einmal gibt. Man kann jedes Auto immer wieder zur Perfektion restaurieren, aber wenn der Originalzustand zerstört oder verschwunden ist, dann bleibt er es auch.

Knackpunkt beim Thema Patina ist, dass es keine für den Automobilbereich allgemeinverbindliche Definition gibt und die Einschätzung, ob noch Patina oder schon Gammel vorliegt, wesentlich subjektiver ist als die Festlegung von Zustandsnoten. Sämtliche Versuche, hier eine Vereinheitlichung zu installieren oder Definitionen aus der Kunstwelt zu übertragen, sind gescheitert, weil sie praxisfremd sind. Welcher Grad an Patina werterhöhend ist, entscheidet kein Sachverständiger und kein Marktbeobachter, sondern allein der Markt selbst. Entscheidend ist bei Patina immer ein stimmiges Gesamtbild: Ein unrestaurierter Innenraum mit abgewetztem Leder etc. passt nicht zu einer brandneuen Lackierung, so etwas ist eher wertmindernd, weil es an eine geschminkte Leiche erinnert..." Generell gibt es, gerade von Verkäuferseite, eine steigende Tendenz, schlechten Zustand oder Gammel als "sympathische Patina" darzustellen."

Patina anhand des Pflegezustands unterscheiden

Einen fast poetischen Bezug zum Thema Patina fand Sascha Keilwerth vom Oldtimer-Auktionshaus Getyourclassic: "Am Ende ist zwar es immer reine Geschmackssache, was einem Betrachter gefällt, aber suchen wir Menschen nicht schon immer die Faszination in tollen Geschichten? Die Geschichte. Genau darum geht es doch!
Ein Auto, sei es das erfolgreiche Rennauto oder das „Brot und Butter Auto“, erzählt seine Geschichte in Form seiner Gebrauchsspuren, Kratzer, Dellen und Macken. Ja Macken. Ich erinnere mich da z.B. an meinen Käfer zu Studentenzeiten, bei dem der Blinker nur ging, wenn der Handschuhfachdeckel offen war. Das sind genau, diese Geschichten, die uns im Gedächtnis bleiben und immer für interessanten Gesprächsstoff sorgen… und von denen wir auch immer noch ein bissel schwärmen.

Man kann die Patina an Hand des Pflegezustandes unterscheiden. Da gibt es die völlig verrosteten, aber voll funktionstüchtigen Autos bei dem die Lackfarbe nur noch zu erahnen ist. Gerne als „Ratte“ oder „rat-look“ bezeichnet, aber Fahrzeuge in tollem, originalen Pflegezustand, mit hier und da einer kleinen Delle oder Kratzer.

Die Intensität der Gebrauchsspuren bestimmt dann auch den Wert des Autos. Der emotionale Wert ist nicht genau definierbar, denn das hängt ja vom Betrachter ab. Zum Wert kommt dann auch der Grad des Originalzustandes bezogen auf die Lackierung, Motor, Getriebe, dem Interieur und natürlich auch die Seltenheit sowie der Beliebtheitsgrad. Am Ende ist es natürlich immer eine Geschmacksfrage, ob der Oldtimer patiniert sein soll oder neuwertig aussehen soll. Aus meiner Erfahrung ist Authentizität jedoch am wertstabilsten.

Und wie behandeln Oldtimerversicherungen das Thema?

Bei der OCC Assekuranzkontor wird zum Beispiel genau geprüft, ob es sich wirklich um wertvolle Patina handelt. „Grundsätzlich stehen wir Patina offen gegenüber. Insbesondere die Qualität der eingereichten Fotos ist ein wichtiges Kriterium. Je besser die Fotos des Kunden-Fahrzeugs, desto besser können wir nachvollziehen, ob es sich um Patina handelt. Nur so können wir sicherstellen, dass das zu versichernde Fahrzeug tatsächlich den Wert hat, um die Versichertengemeinschaft von OCC zu schützen", sagt Bernd Uhlenbruck, Senior Product Manager bei OCC.

Patina bei Oldtimern – eben mehr als nur Geschmackssache.  

Von Dorian Rätzke, OCC

Personalia:

André Tichy ist neuer Vertriebsleiter bei OCC Austria
Er liebt alte Flugzeuge und Autos: André Tichy ist neuer Head of Sales bei der OCC Assekuranzkontor GmbH in Wien. Tichy ist seit über 20 Jahren im Versicherungsgeschäft tätig. Zuletzt arbeitete er bei der Allianz und AXA Partners in verschiedenen Leitungsfunktionen in Österreich und dem benachbarten Ausland. Privat lebt er gemeinsam mit seiner Partnerin in Wien. Seine Oldtimer- Leidenschaft begann schon im Alter von 18 Jahren, als er während der Privatpilotenausbildung auf  alten Cessna-Motorflugzeugen ausgebildet wurde. Den Klassikern ist er bis heute treu geblieben. Sein Traumauto kommt aus Italien:  ein 74er Alfa Romeo Giulia TZ2 Carrozzata da Zagato.
Kontakt: OCC Assekuranzkontor GmbH, Schottenring 16/2, A - 1010 Wien, Tel. +43 - 1 - 2 36 62 58
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