Das Moped der Österreicher - von Fritz Ehn
Puch MS 50
Zu Anfang der Fünfzigerjahre war auch in Österreich die Zeit für die neue Fahrzeugkategorie Moped reif geworden. Grund genug für den größten österreichischen Fahrzeugkonzern, die Steyr-Daimler-Puch AG. ein Fahrzeug für diesen neuen Markt zu schaffen. Das Ergebnis hörte auf den Namen MS 50, wobei MS für Moped-Schwinggabel stand, und wurde zum österreichischen Volksmoped.
Der erste Schritt zur Minimalmotorisierung war nach dem Krieg das Fahrrad mit Hilfsmotor. 1947 brachte der Salzburger Techniker Ing. Fuchs so einen Motor auf den Markt. Dieser hatte, ähnlich dem Viktoria Fahrradhilfsmotor einen Hubraum von 38 cm3 und Drehschiebersteuerung für den Einlass. Bei 4.600 min-1 hatte er eine Dauerleistung von 0,75 PS. Noch im selben Jahr folgte ein eigenes Fahrzeug, das diesen Motor als Antriebsquelle hatte und auf den Namen "Foxinette" hörte. Damit war das erste österreichische „Moped“ geboren worden. Der elegant geschwungene Blechschalenrahmen fungierte gleichzeitig als Benzintank, der in Höhe des Tretlagers der Fahrradpedale den "Fuxl", wie der kleine Motor im Volksmund genannt wurde, aufnahm. Bei den ersten Modellen war die Gabel noch eine ungefederte, verstärkte Fahrradgabel. Doch 1948 folgte bereits eine gefederte Blechpressgabel und kurz darauf kam der neue Motor auf den Markt, der jetzt genau 1 PS leistete und eine konventionelle Schlitzsteuerung aufwies. Der Hilfsmotor motorisierte also zunächst die vorhandenen Fahrräder, aber er war in jeder Beziehung eine Notlösung. Der nächste Schritt brachte ein Fahrzeug, das man zwar noch durch Treten vorwärts bewegen konnte, das aber von der Konstruktionsseite her für die Fahrt mit Motorkraft ausgelegt war.
Der Begriff "Moped" (Motor mit Pedalen) war übrigens eine Sprachschöpfung aus Deutschland, denn in Österreich hießen die Dinger amtlich bis in die "Neuzeit" Fahrrad mit Hilfsmotor, und seit neuestem heißen sie Motorfahrrad. In Deutschland gab es Anfang der Fünfzigerjahre für die Mopeds lediglich ein Hubraumlimit vom 50 cm3 und eine Gewichtsbeschränkung von 33 kg, welche uns so interessante Konstruktionen wie die Heinkel Perle mit ihrer wunderschönen Leichtmetallbauweise bescherte. Die Mopeds in Deutschland durften u.a. führerscheinfrei ab dem 16. Lebensjahr benützt werden, das Hinterrad musste einen Mindestdurchmesser von 580 mm, die Tretkurbeln einen wirksame Tretkurbellänge von 115 mm aufweisen.
In Österreich hingegen galten ein Geschwindigkeitslimit von 30 km/h und die Hubraumbeschränkung auf 50 cm3. Und genau in diese gesetzliche Situation hinein wollten und mussten die Puch-Werke in Graz ihr neues Moped platzieren. Denn eines war klar: Wenn sich diese renommierte Firma auf das neue Marktsegment stürzen wollte, dann mit allen Konsequenzen, inklusive einer regen Exporttätigkeit.
Das MS 50 Moped entsteht
Ein Zeitzeuge und Hauptakteur aus jenen Tagen, Ing. Walter Kuttler, der federführende Konstrukteur des MS 50 berichtete mir darüber anlässlich eines Interviews:
"Es war ein offenes Geheimnis, dass die Konkurrenz bereits nahezu alle Marktnischen abgedeckt hatte. Es gab Exoten von Rixe bis zum Mars-Moped und berühmte Großhersteller wie NSU und HMW. Es hatte sich aber bei der überwiegenden Mehrzahl der Anbieter eine, man kann sagen, Standardbauweise herauskristallisiert, die sich kurz wie folgt umreißen lässt: Einrohrfahrwerk, einfache, zumeist Kurzarmvorderradfederung, keine oder nur sehr einfache Hinterradfederung und ein einfacher, Ein- oder Zweigangmotor mit Fahrtwindkühlung. Und genau das war nach unserer Meinung der schwächste Punkt im Fahrzeugkonzept Moped: Die geringen thermischen Reserven des Motors. Daher bauten wir von Haus aus eine zwangsweise Gebläsekühlung, schon im Hinblick auf die Tatsache, dass "das" österreichische Moped wohl vorwiegend in unserer Alpenheimat laufen würde. Leistungsmäßig mussten wir die Maschine natürlich so auslegen, dass auch bei Höchstdrehzahl kein Leistungsverlust durch das Gebläse eintreten konnte. Die Motorkomponenten wurden so wie bei den Puch- Motorrädern ausgebildet, daher gab es beispielsweise an Stelle der bei der Konkurrenz gängigen Ziehkeilgetriebe ein solides, klauengeschaltetes Zweiganggetriebe.
Direktor Rösche, der das Mopedprojekt vehement verfocht und immer wieder mit Argumenten für diese Fahrzeugkategorie im der Konzernleitung warb, forderte sein Mitarbeiter immer wieder zum überdenken des Projektes auf, damit sich unser Moped als, wie man heute sagen würde, "intelligentes Produkt" von den anderen am Markt befindlichen Fahrzeugen unterscheiden sollte. Da wir von Haus aus der Überzeugung waren, dass unser Moped vor allem im ländlichen Raum als "Lastesel" eingesetzt werden würde, kam ein Billigfahrwerk nicht in Frage. Auch hier griffen wir auf unsere Motorraderfahrung zurück und bauten einen Schalenrahmen mit extrem hoher Steifigkeit und Verwindungsfestigkeit. Das Patent dazu stammte ja von unserem Konstrukteur Ing. Erwin Musger, der diese Idee der stabilen Zelle aus dem Flugzeugbau mitgebracht hatte.
Ein weiteres großes Problem stellte die Federung dar. Dass das Hinterrad in einer Schwinge geführt werden sollte, war von Haus aus klar. Aber bei der Vorderradfederung ergaben eingehende Fahrversuche, dass den gestellten Anforderungen nur eine relativ langhubige und solide Teleskopgabel mit hydraulischer Dämpfung wie bei unseren Motorrädern gewachsen war. Die ersten Vorserienmodelle waren bereits an ausgesuchte Kunden und die Presse gegangen, als uns die Nachricht des Reifenherstellers Semperit wie der Blitz traf, dass er die von uns gewählte Reifendimension 23-2.00 für die geforderte Belastung und die in Kürze zu erwartende höhere Bauartgeschwindigkeit von 40 km/h nicht freigegeben werde. Daraufhin war eine hektische Umkonstruktion der betroffenen Bauteile unvermeidlich und nur langwierige Verhandlungen mit Semperit brachten es mit sich, dass wir diese frühen Fahrzeuge nicht rückrufen mussten. Die einschlägigen Testberichte waren einhellig positiv, das Puch Moped MS 50 wurde zum Verkaufsschlager."
So weit also Ing. Kuttler, der dieses Fahrzeug, aus der Taufe heben half. Ein Fahrzeug, das 33 Jahre erfolgreiche und zum Teil auch ertragreiche Jahre im Mopedbau von Puch eingeläutet hat.
Das leiseste Moped am Markt
Ein Problem, das das Moped in weiten Kreisen der Bevölkerung als Außenseiterfahrzeug stempelte, nämlich die Lärmentwicklung, hatte man bei Puch von Anfang an im Griff. Eines der augenfälligsten Merkmale des MS 50 Mopeds war sein leiser Lauf. Aus der reichen Erfahrung des Motorradbaues wussten die Grazer, dass man das Motorgeräusch nicht nur von der Auspuffseite, sondern vor allem von der Ansaugseite her bekämpfen muss. Daher hatte das MS 50 Moped einen verhältnismäßig großen Ansauggeräuschfilter aus Kunststoff auf der linken Fahrzeugseite. Und für eine Lärmberuhigung der Abgasseite sorgte ein großvolumiger Expansionsschalldämpfer unter dem Tretlager mit zwei Auslässen.
Die österreichische Fachzeitschrift "Motorrad" merkte in Heft 40 vom 2. Oktober 1954 dazu an:
"Wenn wir hier im MOTORRAD bei der technischen Beschreibung des Puch-Moped MS 50 zunächst von der Geräuschdämpfung sprechen, so sind wir uns durchaus bewusst, dass wir damit gegen alle bisherigen Gepflogenheiten verstoßen. Da aber die Geräuschlosigkeit eines der auffallendsten Merkmale des MS 50 ist, wollen wir die Maßnahmen aufzeigen, durch die es zum derzeit leisesten Fahrzeug am Moped-Sektor wurde.
Das Lärmniveau einer Großstadt liegt zwischen 80 und 86 Phon. Das Moped MS 50 hat bei voller Leistung eine Lautstärke von nur 73 Phon, es bleibt damit im normalen Straßenverkehr unhörbar. Durch welche Maßnahmen wurde nun diese Geräuschlosigkeit erreicht? Man weiß heute schon, dass eine derart weitgehende Geräuschdämpfung nicht allein mit einer Dämpfung des Ansaug- und Auspuffgeräusches erreicht werden kann, wesentlich sind noch eine besondere mechanische Laufruhe sowie die Bekämpfung von Nebengeräuschen der mannigfaltigsten Art. Um die so wichtige mechanische Laufruhe beim Moped MS 50 zu erreichen, wurden z.B. im Primärantrieb genaue, präzise, schräg verzahnte Zahnräder verwendet. Ebenso findet man im Getriebe robuste, besonders exakt gearbeitete Zahnräder. Die Kurbelwelle läuft auf Schulterkugellagern, und diese sind außerdem durch Justierscheiben nachstellbar, so dass auch nach vielen, vielen Kilometern keine wesentlichen mechanischen Geräusche auftreten können. Schließlich fanden im Getriebe drei Rollenlager und ein Hochschulterkugellager Verwendung. Der mechanischen Geräuschdämpfung dient weiterhin sogar das Gebläse, dessen Luftleitbleche um Zylinder und Lichtzünder einen schalldämpfenden Mantel bilden. Auch wurde durch eine besondere Konstruktion der Gebläseschaufeln das sonst übliche Singen des Gebläses ausgeschaltet.
Schließlich hat man beim Puch-Moped auch allen Nebengeräuschen den Kampf angesagt, man findet unter anderem Gummipuffer als Rückschlagsicherung des Kippständers, Silentblöcke für alle beweglichen Teile der Schwinggabellagerung und Motoraufhängung, auch der Kraftstoffbehälter, eine Resonanzquelle bei vielen Fahrzeugen, wurde in Gummi gelagert und der Werkzeugkastendeckel mit Gummieinfassung und Gummiauflage versehen".
Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ das Fahrzeug im Test jedoch von der Fahrleistungsseite her:
"Die Steigfähigkeit wird bei der gedrosselten Ausführung mit 17 % und bei der ungedrosselten Ausführung mit 21% angegeben. Mit dieser Steigfähigkeit können praktisch alle in Österreich herrschenden Steigungen auf Durchgangsstraßen passiert werden: der Urlaubsreise auf den Großglockner steht nichts mehr im Wege. Die Steigleistung kann auf Wunsch durch ein anderes Kettenrad auf dem Hinterrad erhöht werden. Größter Wert wurde auch auf eine gute Beschleunigung gelegt, um möglichst schnell die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Für ein schnelles Vorwärtskommen im Stadtverkehr ist die Beschleunigung von unten heraus wichtig. In fünf Sekunden werden 18 km/h erreicht, in 10 Sekunden 33 km/h. Nach einer Strecke von 155 Metern, die in 20 Sekunden durchfahren werden, ist die Höchstgeschwindigkeit von 41 km/h erreicht!
Es gibt Leute, die nicht gerne schalten. Bis zu einer Geschwindigkeit von 10 km/h kann noch mit dem zweiten Gang gefahren werden. Aus 10 km/h werden nach 5 Sekunden bereits 20 km/h erreicht und nach 10 Sekunden 35 km/h. Die Spitze von 41 km/h nach 19 Sekunden."
In einem weiteren Testbericht, den das "Motorrad" in Heft 34 vom 20.8.1955 brachte, wird ebenfalls auf den Motor ein Loblied gesungen:
So leistungsfähig der Motor "oben" ist, so durchzugskräftig ist er unten. Man kann im Zweiten mit etwa 10 km/h am Tacho fahren. Damit ist die Laufkultur aber noch nicht zu Ende, denn der Motor nimmt aus dieser Drehzahl bzw. Geschwindigkeit noch klaglos und klopffrei Gas an. Überhaupt Klopfen, das konnten wir selbst beim brüsken Drosselaufziehen nicht erreichen! Kerzenbrücken blieben uns beim Moped ebenfalls eine vollkommen unbekannte Sache!"
Auch das Fahrwerk setzte damals Maßstäbe:
"Das Fahrwerk ist es nicht zuletzt, das dem Moped in so weitgehendem Maße die Charakteristik eines kleinen Motorrades zu geben in der Lage ist. Mit einem Fahrrad hat die Straßenlage der kleinen Benzinfliege nichts mehr gemein. Einerseits sitzt man ja schon wesentlich niederer als auf dem durchschnittlichen Veloziped. Ferner ist der Sattel besser und auch besser gefedert. Die vordere Teleskopgabel hat laut Handbuch 50 mm Federweg und hydraulische Stoßdämpfung. Insbesondere auf Schlaglochserien und am Katzenkopfpflaster steht einem das Vorhandensein der Teleskopgabel bestens an. Sie ist erstklassig gedämpft, doch in ihrer Wirkung härter als die Hinterradfederung. Die Vorversetzung der Gabel ist sehr geringfügig, und auch wenn der Nachlauf als normal bezeichnet werden kann, so ist die Wendigkeit des kleinen Fahrzeuges enorm. Trotzdem hat die Lenkung nicht das leiseste Anzeichen einer Labilität, man kann gefahrlos freihändig fahren und ist sowohl auf nassen als auch auf schlüpfrigen Straßen im nötigen Maß lenksicher."
Eine weitere Besonderheit wies das MS 50 Moped auf, die so außergewöhnlich war, dass sie auch patentiert wurde. Und zwar hatte Dipl. Ing. Alfred Oswald, der große Zweitaktspezialist und Strömungstechniker des Hauses Puch herausgefunden, dass man die Resonanzschwingungen des Ansaug- und Auspufftraktes derart aufeinender abstimmen konnte, dass bei überschreiten der Höchstgeschwindigkeit und der damit verbundenen Drehzahl Interferenzen auftraten, die eine Abregelung hervorriefen.
Sowohl Tester als auch Benützer waren sich einig, das das MS 50 Moped von Puch in Bezug auf Laufruhe, Robustheit, Bedienungs- und Fahrkomfort sowie durch die reichhaltige Werkzeugausstattung eines der besten Fahrzeuge in dieser Kategorie war.
Das Puch MS 50 Moped wurde zum Markenzeichen von Puch und erzielte im Laufe der Jahre in all seinen Varianten eine ungeheure Popularität. Es war das meistverkaufte österreichische Moped. Es wurde nicht nur zu Hunderttausenden von Privatpersonen eingesetzt, sondern stand auch in großer Stückzahl im Dienste der Behörden. So vor allem bei der Post, der Polizei und der Gendarmerie. So zielt auch der Spitzname des Fahrzeuges "Postlermoped" auf diesen Einsatzzweck ab. Weitere Spitznamen waren u.a. „Maurersachs“ oder „Stangelpuch“, heutige Jungsammler nennen sie liebevoll Puch „Baby“. Der weit verbreitete Begriff "Stangelpuch", dürfte sich auf die charakteristische Form des schräg nach unten verlaufenden, stangenförmigen Pressstahlrahmens beziehen.
Das Puch Moped MS 50 war der Urahn einer schier unübersehbaren Vielzahl von Puch Mopedmodellen, die alle auf die Grund- und Konstruktionsprinzipien des MS 50 zurückgriffen. Allein in Österreich gab es u.a. das:
- MS 50 L: Dabei handelte es sich um die Luxusausführung mit Weißwandreifen, verchromten Felgen und der Lackierung wahlweise in rot, türkis oder lindgrün, während die Standardausführung 1955 und 1956 in rot war. 1954 gab es das MS 50 nur in graugrün.
- MS 50 V: Verstärkte Ausführung ab 1958 mit dickeren Federbeinen und verchromtem Gepäckträger.
- VS 50 D: Vollnabenbremsen-Schalenrahmen-Dreigang. Variante ab Mitte 1958. Ab 1960 hatte dieses Modell zwei seitliche Pilot- Lampen beim Scheinwerfer und den Blechpress- Lenker des DS 50 Mopeds (Zweisitzer).
- MV 50 und MV 50 S: Moped-Vollnabenbremsen-Schalenrahmen. Letztvariante des MS 50, gebaut bis 1981
sowie die zweisitzigen Varianten des VZ genannten Modells.
In die verschiedenen Exportmärkte wurde das MS Moped teilweise mit Kickstarter geliefert und schließlich die späten Varianten z.B. unter dem Namen Dakota nach England, Schweden und in die USA.
Weiterführende Informationen zu den Puch Mopeds sind im Buch „Das große Puch Buch“ (Verlag Weishaupt/Gnas) des Autors zu finden.