Was Lack alles kann…

von Christian Sch… 04/03/2023
Szenethema
Was Lack alles kann…

Was Lack alles kann – Teil 1

Wie kann ich einen Gegenstand nicht nur optisch aufwerten, sondern auch möglichst lange haltbar und damit länger nutzbar machen? Die Antwort ist einfach: Durch Lackieren des Gegenstands. Die Wissenschaft, die dahinter steckt, ist um einiges komplexer. Aber genau das macht die Welt der Lacke so faszinierend und variantenreich.

Schutz und Dekor
Lacke können Materialien dekorieren oder schützen. In einigen Einsatzbereichen überwiegt einer dieser beiden Vorteile. Bei vielen Anwendungen sind allerdings beide Eigenschaften wichtig. Ein Auto soll beispielsweise lange vor dem Rosten und der Zerstörung durch äußere Einflüsse geschützt werden. Gleichzeitig soll seine äußere Erscheinung dem Geschmack des Besitzers entsprechen. Ein Lacksystem kann also meist nicht nur auf eine Funktion hin optimiert werden. Um den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden, muss man die Eigenschaften ausbalancieren.
Zusätzlich spielen auch die Verarbeitung, die Art des Auftrags und nicht zuletzt natürlich auch der Preis eine große Rolle.

Anforderungen an Automobillackierungen
Gerade bei Automobillackierungen ist die Wunschliste lang, wenn es darum geht, was der Lack alles können soll. An erster Stelle stehen natürlich die Erwartungen des Käufers. Dessen Auto ist im Laufe seiner Nutzungsdauer den unterschiedlichsten äußeren Einflüssen ausgesetzt. Die Karosserie soll vor allen Wetterbedingungen geschützt sein, egal ob am Polarkreis, in der Wüste oder im tropischen Regenwald. Das Lacksystem muss also unterschiedlichen Temperaturen, UVStrahlung und hoher Luftfeuchtigkeit trotzen. Weiterhin muss es beständig sein gegen alle Arten
von Substanzen, die möglicherweise mit der Oberfläche des Autos in Kontakt kommen wie Streusalz, Benzin, Öl, Sonnenmilch, Baumharz und Vogelkot. Auch mechanische Belastungen durch Steinschlag oder die Bürsten der Waschanlage muss der Lack aushalten. Natürlich soll er dabei gleichzeitig seinen Farbton und Glanz ein Auto‐Leben lang behalten. Doch damit ist die Wunschliste noch nicht zu Ende, denn auch der Automobilhersteller hat Ansprüche an das Lacksystem. Er ist natürlich ebenfalls daran interessiert seinen Kunden, den Käufer des Autos, glücklich zu machen. Aber dazu kommen zahlreiche Anforderungen vor allem an den Lackierprozess. So werden Lacke benötigt, die besonders schnell und effizient aufgebracht werden können. Insgesamt wird dabei ein möglichst niedriger Energieverbrauch angestrebt, denn der Lackierprozess ist wegen der hohen Trocken‐/Einbrenntemperaturen einer
der größten Energieverbraucher bei der Automobilherstellung. Der Lack sollte darüber hinaus robust gegen verschiedene Oberflächendefekte sein. Diese können entstehen, wenn während der Trocknung Lösemittel nicht komplett oder nicht kontrolliert aus der Lackschicht entweichen kann oder minimale  Kontaminierungen/Verschmutzungen dazu führen, dass bestimmte Stellen nicht vollständig benetzt werden (Die sog. Kraterbildung). Ein so verunstaltetes Auto würde wahrscheinlich keinen Abnehmer finden. Daher ist auch die Reparaturfähigkeit eines Lackes sehr wichtig, denn was nützt einem der schönste Farbton, wenn sich Kratzer später nicht reparieren ließen. Bei der Herstellung eines Autos werden heutzutage viele Teile, wie die Windschutzscheibe, verklebt. Der Lack muss also auch eine gute Basis für die Klebstoffmasse bieten. Gleichzeitig sollen zum Beispiel Transportfolien nicht kleben bleiben und sich rückstandlos wieder entfernen lassen.

Die Liste der Anforderungen ist lang und lässt sich sicherlich noch um viele Eigenschaften erweitern. Dabei setzen unterschiedliche Hersteller auch unterschiedliche Schwerpunkte. Es stellt sich also die Frage, wie man diesen vielen Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann. Aufbau eines Automobillackes Die verschiedenen Anforderungen an eine Automobillackierung können nur mit einem mehrschichtigen Lackaufbau erfüllt werden. Dabei hat jede der einzelnen Schichten eine besondere Aufgabe und unterscheidet sich in ihren Eigenschaften von den anderen Lagen.

Eine wichtige Funktion des Lackes ist es die Karosse über die gesamte Lebensdauer des Autos vor dem Rosten und anderen äußeren Einwirkungen zu schützen. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die unterste Lackschicht, die auf den bereits vorbehandelten Stahl kommt. Um diese sogenannte „Kathodische Tauchlackierung“ (KTL) in einem elektrochemischen Verfahren aufzubringen, wird die Karosse durch ein Becken bewegt und darin mehrfach gewendet. So ist sichergestellt, dass auch alle Hohlräume beschichtet werden. Auch sehr kleine Stellen ohne ausreichenden Korrosionsschutz könnten sonst später ausreichen, um einen großen Schaden zu verursachen, denn der Rost könnte von dieser Stelle aus unter dem Lack weiterwandern. Wird eine elektrische Spannung angelegt, fungiert die Karosse als Minuspol (Kathode). Die Lackbestandteile im Becken sind wiederum positiv geladen, bewegen sich deshalb auf die
Karosse zu und werden dort abgeschieden. Dies funktioniert so lange bis eine gewisse Schichtdicke erreicht ist, die dann isolierend wirkt. Nach dem Becken wird die Karosse in einen Ofen gefahren, wodurch die Lackschicht ihre nötige Festigkeit durch chemische Vernetzung erhält.

Im Standardaufbau einer Automobilserienlackierung wird über der KTL der sogenannte Füller durch Spritzapplikation aufgetragen. Wie der Name schon sagt füllt dieser kleine Unebenheiten auf, um die Oberfläche zu glätten. Gleichzeitig ist das Material relativ weich. So können einige mechanische Belastungen wie zum Beispiel Steinschläge im wahrsten Sinne des Wortes abgefedert werden. Auch der Füller muss anschließend im Ofen eingebrannt werden. Die noch wenig reizvolle Optik wird im nächsten Schritt deutlich verbessert, denn auf den Füller wird der Basislack aufgetragen. Dieser bringt nicht nur den gewünschten Farbton mit, sondern kann auch unterschiedliche Effekte wie Metallic, Perlglanz oder changierende Farben hervorrufen. Hier zeigt sich wie wichtig die dekorative Funktion eines Lackes ist, denn der Farbton und der Effekt in Kombination mit dem Design der Karosse ist meist ein wichtiger Faktor
für die Kaufentscheidung. Trotz der Farbwirkung wirkt der mehrschichtige Aufbau noch sehr matt und stumpf. Seinen
charakteristischen Glanz erhält das Auto erst durch die oberste Schicht, den transparenten Klarlack. Neben der optischen Funktion schützt dieser die unterliegenden Schichten und die Karosse vor allen möglichen äußeren Einflüssen. Dazu gehören verschiedene Wetterbedingungen wie Regen, UV‐Strahlung und extreme Temperaturen, in der Natur vorkommende Stoffe wie Vogelkot oder Baumharz und mechanische Beanspruchung, zum Beispiel in der Autowaschanlage.

Was aussieht wie aus einem Guss besteht also in Wahrheit aus mehreren Lagen. Jede Schicht bringt unterschiedliche Eigenschaften mit ein. Um aber den gesamten Katalog an Anforderungen zu erfüllen, kommt es auch auf das Zusammenspiel der einzelnen Lacksysteme an. Bestimmte Herausforderungen können also nur in „Team Work“ gemeistert werden. Gleichzeitig ist die gesamte Schicht mit durchschnittlich 100‐150 μm extrem dünn, in etwa
etwas dicker wie der Durchmesser eines menschlichen Haares. Dies zeigt, dass es sich bei Automobillacken um wahre High‐Tech‐Produkte handeln muß, die sich über die Zeit immer weiter entwickelt haben.

Jürgen Book, Glasurit, u.a. Co-Autor des Lackkapitels im FIVA-Handbuch zur „Charta von Turin“, www.glasurit.com